Spiegelmanufaktur in Neustadt (Dosse)
Das Eisenhüttenwerk und die Spiegelmanufaktur gehen auf den Landgraf Friedrich II. Prinz von Hessen-Homburg (1633–1708) zurück, der vor allem als Sieger der 1675 stattgefundenen Schlacht in Hakenberg bei Fehrbellin bekannt ist. Das Gefecht war für das Königreich Preußen von entscheidender Bedeutung. Als der Prinz von Homburg 1662 Neustadt mit allen Rechten eines Landesherren kaufte, litt die entvölkerte Region noch sehr unter dem 1648 beendeten Dreißigjährigen Krieg. Der Landgraf ließ Häuser bauen, um mehr Menschen in der Region anzusiedeln. Und er ließ die Dosse regulieren und einen Kanal anzulegen. Er brauchte einen starken Strom, denn er wollte „Fabricken“ bauen. Dank seines Einflusses bekam Neustadt vom preußischen Kurfürsten 1664 das Stadtrecht verliehen. Vermutlich entstanden bereits jetzt erste Mühlen an der Dosse, um Getreide zu verarbeiten oder Papier herzustellen, außerdem eine Ziegelei.
1685 begann der Bau von zwei Glashütten auf dem Bebersberg (Biberberg) in Neustadt, eine von Dosse und Schwenze umflossene Halbinsel, die heute Spiegelberg genannt wird. Baurat Paul Andrich leitete den Bau der Glashütten und anderer Gebäude. Bereits 1687 sprach man von drei im Bau befindlichen Glashütten: Es gab eine Obere (deutsche) Glashütte, die Becher, Flaschen und anderes Hohlglas herstellte, eine Untere (französische) Glashütte, in der Spiegel produziert wurden sowie eine „gemeine“ Glashütte im benachbarten Rübehorst. Die Obere Glashütte wurde wegen der dort beschäftigten deutschen Arbeiter auch „deutsche Hütte“ genannt, die Untere Glashütte deshalb „französische Hütte“.
1688 wurde auf dem Spiegelberg dann ein Manufakturgebäude errichtet, in dem eine (Spiegel-)Belegstube und die Folienschläger Platz hatten. Außerdem wurde an der Dosse eine Poliermühle, auch Schleifwerk genannt, gebaut. Hergestellt wurden Spiegel mit einer Länge von bis zu 30 Zoll (1 Zoll entspricht 2,7 Zentimetern). 1689 lieferten die Glashütten die ersten Spiegel und Gläser zur Probe an den kurfürstlichen Hof nach Berlin.
Märkischer Sand diente den Glashütten als Rohstoff, ebenso wie der Roddahn, damals ein Urwald, den Brennstoff lieferte. Denn Holzkohle benötigte man für die Glashütte ebenso wie für das Eisenhüttenwerk in Hohenofen. Die Spiegelproduktion war ungleich aufwendiger als die normale Flachglasherstellung. Gläserne Spiegel waren ein heiß begehrtes Luxusgut, die schon im 16. Jahrhundert in Italien hergestellt wurden, zunehmend dann auch in Mitteleuropa.
Spiegelglas wurde zu der Zeit aus geblasenen Zylindern hergestellt. Die Zylinder wurden aufgetrennt, gestreckt, mehrere Streckglas-Stücke zusammengesetzt, dann zugeschnitten und für die Spiegel geschliffen, poliert und belegt. Folienschläger belegten die Glasscheiben mit einer dünnen Folie aus Zinn (Staniol), auf die traditionell Quecksilber aufgetragen wurde, so dass sich auf der Spiegelrückseite das reflektierende Zinnamalgam bildete. Die giftigen Quecksilberdämpfe aber führten auch zu einer schleichender Vergiftung der Arbeiter. Erst 1886 wurde die Spiegelproduktion mit Quecksilber deshalb verboten. Seit spätestens 1733 war das Spiegelglas in Neustadt nicht mehr geblasen, sondern in einem Stück gegossen und gewalzt worden. Nun waren erheblich größere Spiegel möglich; doch auch hier musste das Glas in großem Umfang nachbearbeitet werden.
1694 übernahm der brandenburgische Kurfürst Friedrich Wilhelm I. die Glashütte „Spiegelberg“ sowie eine Papiermühle und eine Getreidemühle. Er übertrug das Geschäft seinem Oberpräsidenten und Premierminister Eberhard von Danckelmann, der am 26. April 1696 einen Vertrag mit Jean Henry de Moor über den Kauf der Spiegelmanufaktur in Kopenhagen schloss. De Moor war 1685 mit weiteren Hugenotten aus Frankreich nach Dänemark geflohen, legte aber nun die Manufaktur in Kopenhagen still und zog mit Arbeitern und Werkzeugen im Herbst 1696 nach Neustadt, um hier hochwertige Spiegel vor allem im Auftrag des Kurfürsten beziehungsweise preußischen Königshauses herzustellen. Somit lebten fortan viele Hugenotten, noch immer französische Bürger, in einer eigenen Kolonie und gewannen in Neustadt immer mehr Einfluss.
1712 wurde als zweite Schleif- oder Poliermühle der Manufaktur eine in Hohenofen gebaut. 1733 wurden in der Fabrik erstmals zwei riesige Spiegel hergestellt: 2,34 x 1,30 Meter groß. 1741 wurde die Spiegelmanufaktur an die magdeburgische Erz- und Schiefergesellschaft verkauft, die schon seit längerer Zeit das Hüttenwerk in Hohenofen besaß. 1768 wurde pro Monat zehnmal Spiegelglas gegossen. Jeder Guss bestand aus vier Tafeln, aus denen 15 Spiegelgläser in verschiedenen Größen geschnitten werden konnten. Sie waren bis zu 44 Zoll groß. In Einzelfällen wurden für das Neue Palais in Potsdam sogar bis zu 90 Zoll große Gläser hergestellt. Für 1804 wird die Herstellung von bis zu einem 100 Zoll langen und 45 Zoll breiten Spiegelglas genannt. Konkurrenz machten dem Neustädter Betrieb damals die Spiegelmanufakturen in Wien, Mainz und Lohr am Main – und zwar, wie es hieß, von Neustädter Überläufern betrieben.
Am 27.2.1769 pachtete das Berliner Bankhaus Schickler und Splittgerber die Fabrik vom preußischen Staat. 1788 wurden dort immerhin 145 Arbeiter beschäftigt, 1795 waren es nur noch 89 Arbeiter. Damals gab es auf dem Spiegelberg drei Schleifmühlen, vier Poliermühlen, eine Schmelzhütte und sieben Arbeiterhäuser. Über die letzten Jahre des Betriebes liegen kaum Informationen vor. Spätestens um 1841 stellten die Glashütte und die Spiegelmanufaktur ihr Geschäft ein.
Auf dem Gelände wurde ein großer landwirtschaftlicher Betrieb angesiedelt. Das um 1700 erbaute und bis heute erhaltene Direktorenwohnhaus diente nun als Gutshaus. Auch der barock gestaltete und nur zum Teil wiederhergestellte Park stammt aus der Zeit. Das prächtige Anwesen zog sich bis zur Mündung der Schwenze in die Dosse hin. Die großen Gebäude der Glashütte und der Spiegelmanufaktur befanden sich östlich der Mühle (heute Wohnheim für Reitschüler) und des Gutshauses in der Mitte des Ortsteils Spiegelberg. Ein Diorama des Spiegelbergs mit seiner Manufaktur und der Glashütte ist im Technischen Denkmal Gaswerk Neustadt zu besichtigen, ebenso wie archäologisch geborgene Reste von Glasschmelzen.
Text: Sven Bardua