Strom von der Überlandzentrale
In den 1920er Jahren begann die Märkische Elektrizitätswerk AG (MEW) mit der flächendeckenden Stromversorgung in Brandenburg. Zu den ersten wichtigen Stromtrassen zählte die für eine Spannung von 50 Kilovolt (kV) ausgelegte Leitung von Hennigsdorf über Oranienburg und Neuruppin nach Kyritz und Perleberg. In diesen Städten entstanden jeweils Umspannwerke, welche über die Mittelspannungsebene die jeweilige Region versorgen. Das zwischen der Stärkefabrik und der Dosseniederung in Kyritz vermutlich Ende der 1920er Jahre erbaute Umspannwerk versorgt also über 15-kV-Leitungen (im Jahr 2017 auf 20 kV umgestellt) nicht nur Kyritz, sondern auch den Raum um Wusterhausen und Neustadt (Dosse). In den Städten und Gemeinden wird der Strom über Ortsnetzstationen für den Hausgebrauch auf 220/360 Volt umgespannt. Sichtbarer baulicher Zeuge der Elektrifizierung aus den 1920er Jahren ist auch das große Trafohaus im Winkelweg 1 in Wusterhausen.
Maßgeblich die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) hatte das MEW 1909 gegründet, um Stromerzeugung und -verbrauch im Land zu forcieren. Seit 1920 gehörte das Unternehmen der Provinz Brandenburg sowie Kreisen und Städten. Den Strom erzeugten für das MEW zunächst kleine Kraftwerke, das 1909 als wegweisende Anlage in Betrieb genommene Kraftwerk Heegermühle bei Eberswalde sowie 1923 das erste Großkraftwerk des Landes in Finkenheerd bei Frankfurt (Oder). In Hennigsdorf nahm die AEG zudem 1918 ein Stahl- und Walzwerk mit Elektrostahlöfen in Betrieb. Auch um diesen Großverbraucher besser zu versorgen, investierte das MEW in Hennigsdorf 1929 in ein Dieselkraftwerk für die Spitzenlast. Und von dort wurde auf der Trasse der 50-kV-Leitung über Neuruppin und Perleberg nach Hagenow eine weitere Leitung mit 110-kV installiert. Über diese am 22. August 1934 in Betrieb genommenen Hochspannungskabel wurde vor allem Mecklenburg versorgt. Kyritz war daran nicht angeschlossen.
Da mehr als 100 Städte in Brandenburg unabhängig davon schon eigene Stromerzeuger mit kleinen oder sogar recht großen Ortsnetzen in Betrieb genommen hatten, wurden die Kraftwerke für die überregionale Stromproduktion auch „Überlandzentralen“ genannt – ein Begriff, der auch für die großen Umspannwerke verwendet wurde. Die Schalttechnik eines Umspannwerkes war ursprünglich recht kompakt in großen Stahlbetonskelettbauten untergebracht. Doch schon vor langer Zeit sind die relativ wetterfesten Anlagen, wenn genug Platz da ist, nach draußen gezogen. Das Gebäude des Umspannwerks in Kyritz ist deshalb stillgelegt; die moderne Technik der heute von der E-dis AG betriebenen Anlage befindet sich daneben im Freien. Das an den Altbau angebaute Wohnhaus stammt vermutlich aus den 1930er Jahren, zwei kleinere Technikbauten aus der DDR-Zeit.
Sven Bardua